top of page
Suche
  • Gina Grimpo

Würfelgeschichte: Hamster und Rad

Die Inspiration zu meinen Würfelgeschichten erhalte ich von den Story Cubes. Jedes Symbol auf dem Würfel wird auf irgendeine Art und Weise in die Geschichte eingebaut. Die Reihenfolge ist dabei egal, wichtig ist nur, dass jedes gewürfelte Symbol mindestens einmal Verwendung findet. Übung im Kampf gegen die Schreibflaute :-)



Der Mond warf sein blasses Licht auf die Waldlichtung. Dort, wo das Silber seinen Weg durch die Baumwipfel hindurch fand, bildeten sich helle Punkte auf dem, von Moos und Tannennadeln übersätem, Boden.

In der Ferne war der Ruf einer Eule zu hören. Vielleicht auch der eines Waldkauzes, ich kannte mich da nicht so aus. Der Wind, der uns tagsüber Sorgen bereitet hatte, war abgeflaut und inzwischen gänzlich verstummt, sodass sich eine beruhigende Stille über die Bäume senkte, deren Kronen wenige Stunden zuvor von Böen erfasst getanzt hatten.

Es roch nach Harz und feuchter Erde und ich sog mit geschlossenen Augen tief die Luft ein.

Sekunden später taumelte ich vorwärts, nachdem ein heftiger Schlag auf den Rücken dafür sorgte, dass ich aus dem Gleichgewicht geriet. Ich hustete und duckte mich gleichzeitig nach unten, um einem weiteren Übergriff auszuweichen.

„Ich wusste, es würde dir gefallen.“

Ich zog die Augenbrauen zusammen und streckte meinen schmerzenden Rücken.

Ben, der mit zerzausten Haaren und einem fetten Grinsen im Gesicht vor mir stand, hob erneut den Arm, vermutlich, um mir ein weiteres Mal freundschaftlich auf den Rücken zu klopfen. So jedenfalls würde er diesen Angriff aus dem Hinterhalt nennen.

Ben war wie ein riesiger treudoofer Hund, dem seine eigene Größe und Kraft nicht bewusst war und der damit nicht nur einmal aneckte. Im Gegensatz zu einem Hund mit feuchter Nase und großen Augen konnte ich Ben allerdings sehr wohl böse sein.

„Warum glaubst du, dass es mir gefällt?“

Ben breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und drehte sich einmal um die eigene Achse.

„Du und ich, eins mit der Natur. Das muss doch etwas mit dir machen.“

Das machte es in der Tat. Es machte, dass ich mit jeder weiteren Minute, die ich den weichen Waldboden unter mir hatte, bereute, zugesagt zu haben, diesen verrückten Ausflug zuzulassen.

Eins mit der Natur. Das war es, mit dem Ben versucht hatte, mich zu ködern und das Argument, dass bei mir leider auf fruchtbaren Boden gestoßen war.

Wie sehr hatte ich mich bei unseren letzten Treffen beklagt, dass mir mein Leben mehr und mehr auf die Nerven ging. Das nie enden wollende Summen der Großstadt, Lichter, die immer brannten, eine Geräuschkulisse aus hupenden Autos und heulenden Sirenen, das nie stoppte. Grau, wohin das Auge reichte. Beton und Asphalt dominierten alles, nur hin und wieder unterbrochen von bunten Farbklecksen, deren Ursprung jedoch mitnichten natürlich war, sondern sich bequem per Lichtschalter an und ausknipsen ließen.

Ganze Wälder waren diesem Ungetüm von einer Metropole zum Opfer gefallen, waren gezwungen, Platz zu schaffen für Hochhäuser, die schneller und höher wuchsen, als es ein Baum je hätte zustande bringen können.

Und inmitten all dieses strukturierten Chaos aus hektisch umherrennenden Menschen war ich. Uniabschluss, Vollzeitjob, eine seelenlose Zweizimmerwohnung in einem ebenso seelenlosen Mehrparteienhaus. Voller Motivation hatte ich mich in das Hamsterrad gestürzt, dass seither der Kern meiner Existenz war. Immer höher, schneller, weiter, es gibt nur eine Richtung und die lautete: nach oben.

Und dann hatte Ben mein Gejammer nicht mehr ausgehalten.

„Ich bin dein Bruder, nicht dein Therapeut.“, hatte er gesagt, nachdem ich auf keinen seiner Vorschläge eingegangen war.

Umziehen? Ich pendelte jetzt schon täglich eine Stunde ins Büro, bei einem Häuschen auf dem Land müsste ich mitten in der Nacht losfahren, um rechtzeitig in der Firma zu sein.

Jobwechsel? Klar doch, und wer bezahlt meine Rechnungen?

Ein Ehrenamt? Als ob ich nicht ohnehin schon genug zu tun hätte.

Und dann hatte ich eines Tages den Brief im Briefkasten gefunden. Keine Briefmarke, kein Absender. Aber die Schrift kam mir sofort bekannt vor.

Der Inhalt bestand lediglich aus einer Packliste und einem Datum.

Beendet wurde er mit:

„Ich hole dich um dreizehn Uhr ab, sei pünktlich. Gruß.“

Ich war mehr als einmal drauf und dran gewesen, Ben abzusagen. Ein Überraschungswochenende, Freitag bis Sonntag verplant, ohne dass in meiner Macht lag, was geschehen würde.

Und dann hatte ich doch den Rucksack gepackt und war pünktlich in das wartende Auto gestiegen.

„Hätte es nicht auch ein Wellness-Hotel getan“, fragte ich und betrachtete das windschiefe Zelt, dass heute Nacht unseren einzigen Schutz vor dem draußen darstellen sollte.

„Wellness? Ich bitte dich. Du jammerst mir seit Wochen die Ohren voll, wie sehr dich alles und alle ankotzen und dann willst du ausgerechnet in einem von künstlichen Lichtern durchzogenen Glaskasten auf andere erholungswillige Menschen treffen?“

„In dem Glaskasten hätten wir immerhin ein Badezimmer“, brummte ich und versuchte, mich zu erinnern, wie lange wir vom Parkplatz, an dem wir das Auto abgestellt hatten, hierher gebraucht hatten.

Würde ich es jetzt bei Nacht sicher dorthin zurückschaffen? Meine Orientierung war nicht die beste, aber die Wanderung war mir nicht allzu schwierig erschienen.

Ben schien meinen Gedanken erraten zu haben, denn er schüttelte grinsend den Kopf. Ich verfluchte den Mond, der es mir nicht einmal vergönnte, im Dunklen zu schmollen.

„Schalte dein Gehirn aus. Versuch es wenigstens. Entspann deine Schultern, mach dich ein bisschen locker, setz dich und freu dich einfach, dass der Wind aufgehört hat und es nicht regnet. Hier draußen sind es die kleinen Dinge, die zählen.“

Ich wollte kein kleines Ding. Ich wollte eine bequeme Couch und funktionierendes WLAN. Ich wollte eine Toilette und ich wollte, dass die knackenden Geräusche, die ich ab und zu vernahm und die mich jedes Mal zusammenzucken ließen, verstummten.

Ich atmete tief durch, kreiste folgsam die Schultern und setzte mich dann auf einen der Campingstühle, die Ben neben dem Lagerfeuer platziert hatte, dessen gemütliches Prasseln zugegeben etwas sehr Einladendes hatte.

Mein Magen knurrte.

„Was sollen wir überhaupt essen?“

Ich hoffte inständig, dass in einem der Rucksäcke, die wir hierhergeschleppt hatten, wenigstens ein paar Müsliriegel zu finden wären.

Ben hob einen langen Stock vom Boden auf und reckte ihn wie in Krieger in die Höhe.

„Ben großer Jäger. Ben wird fangen Fisch mit diesem Pfeil.“

Ich verdrehte die Augen. „Ehe du einen Fisch fängst, wird man unsere ausgemergelten Leichen unter einem Baumstumpf finden, wo mir mit letzter Macht versucht haben, das Moss herunterzunagen, um dem Hungertod zu entkommen.“

Ben zuckte mit den Schultern, warf den Stock ins Feuer und setzte sich neben mir auf den freien Stuhl.

„Dann eben Schildkrötensuppe. Die laufen nicht so schnell weg.“

Ich wollte böse auf ihn sein, aber das Prusten, dass sich meiner Kehle entrang, konnte ich dennoch nicht aufhalten.

Ben lächelte und streckte seinen Arm nach mir aus.

Ich spannte meine Schultern an, erwartete einen weiteren seiner freundschaftlichen Klapse auf den Rücken und war überrascht, als er mit stattdessen seinen Arm um die Schultern legte und mir den Arm tätschelte.

„Ich kann dir zwar nicht in dein Leben reinreden“, sagte er, „aber ich kann zumindest versuchen, dass du genügend Abstand dazu bekommst, um dich nicht gänzlich davon einnehmen zu lassen.“

Ich nickte. „Danke“, sagte ich und fühlte zum ersten Mal am heutigen Tag, nein, sogar seit Langem, aufrichtige Dankbarkeit.

„Ich verspreche dir, dass ich dir das komplette Wochenende in den Ohren liegen werde, wie furchtbar unbequem und archaisch das hier alles ist -“

Er öffnete den Mund, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen und fuhr fort: „Aber ich werde dir auch versprechen, dass für alles andere kein Platz mehr in meinem Gejammer sein wird.“

Ben lachte. „Na gut, mehr kann ich wohl nicht verlangen.“

Er wühlte in einem Stoffbeutel und zog eine Dose Ravioli hervor. Erleichterung überkam mich. Kein Moos und kein Fisch, vielleicht würde dieses Wochenende doch nicht so schlecht werden.

Und dann legte ich einen Riegel vor das Hamsterrad und hängte ein Schloss davor.




6 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Beitrag: Blog2_Post
bottom of page